Hinter hohen, fünfeinhalb Meter dicken Mauern war mehr als zwölf Jahre der Arbeitsplatz von Pfarrerin Brigitte Keuer. Nun wird die Gefängnisseelsorgerin der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf am Sonntag, 28. Juli, im Rahmen eines Gottesdienstes in der JVA von Pfarrerin Heike Schneidereit-Mauth, Skriba und Leiterin des Handlungsfelds Seelsorge, in den Ruhestand verabschiedet. Brigitte Keuer war Seelsorgerin hinter Gittern: Für die Inhaftierten, die Angehörigen der Häftlinge und für die Mitarbeitenden in der Justizvollzugsanstalt. Für diesen „umfassenden“ Dienst gehörten Sicherheitsschleusen und das Auf- und Zuschließen von Türen für Brigitte Keuer jeden Tag dazu.
Das Herz der Pfarrerin hat schon im Theologiestudium in Bonn für die Gefängnisseelsorge geschlagen. Sie war mit anderen Studierenden in der JVA Rheinbach. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema durch ihr Leben. Sechs Wochen Diakoniepraktikum in der JVA Essen, danach dort ehrenamtliche Tätigkeit, später in Heidelberg Mitarbeit im Arbeitskreis „Gefängnis“ und im Gemeindevikariat Kooperation mit dem Gefängnisseelsorger der JVA Essen. Dann kamen berufliche Stationen im Saarland und als Gemeindepfarrerin in Neuss. Und am 2. November 2011 hatte Brigitte Keuer den ersten Arbeitstag als Gefängnisseelsorgerin in der JVA Düsseldorf.
Gesprächsinhalte vom Gesetzgeber geschützt
Seelsorge an dem besonderen Ort Gefängnis bedeutet für Brigitte Keuer besonders viel, weil der Schutz des seelsorgerlichen Gesprächs eine einzigartige juristische Stellung einnimmt. Die Inhalte der Gespräche, besonders die eines Beichtgespräches, sind vom Gesetzgeber geschützt. Die
Inhalte dieser Gespräche dürfen und können an keine andere Stelle weitergegeben werden, selbst wenn Inhaftierte ihren eigenen Tod ankündigen würden. Bei Telefonaten gilt für alle Bediensteten der JVA der Datenschutz. Manche Angehörige denken, dass die Pfarrerin doch etwas sagen könne. „Hier hat der Datenschutz für mich absolute Priorität, was für die Anrufenden manchmal sehr schwer zu akzeptieren ist. Im besten Fall ergibt sich trotz Ablehnung der Anfrage ein seelsorgerliches Gespräch. Besonders tragisch ist es, wenn die Anrufenden noch nicht mal wissen, wo sich der Angehörige befindet.“
Ihre Motivation für diesen besonderen Dienst: „Aus dem Geschenk des Glaubens heraus einen Dienst zu tun, den nicht jeder Mensch ausüben möchte.“ Außerdem habe sie immer die hohe Wertschätzung der Freiheit motiviert sowie der Wunsch, Gottes Zuspruch und Anspruch zu vermitteln.
Familiengottesdienste ins Leben gerufen
Schwerpunkt ihres Dienstes war der familiensensible Vollzug. Nach eingehender Beratung, auch der Sicherheitsaspekte, hat Brigitte Keuer Ende 2013 die evangelischen Familiengottesdienste in der JVA eingeführt – in Absprache mit den katholischen Kolleg:innen und der Anstaltsleitung konfessionsoffen. Neben der spirituellen Komponente bieten die Gottesdienste eine zusätzliche Besuchsmöglichkeit. Drei Stunden verbringen Inhaftierte, Angehörige und Seelsorgerin bei den Familiengottesdiensten jedes Mal zusammen.
„Die Themen der Gespräche mit Inhaftierten sind so vielfältig wie die Inhaftierten und deren Haftsituation“., sagt die Gefängnisseelsorgerin. In Untersuchungshaft stehen der Prozess und die Situation der Angehörigen im Vordergrund.
Später sind es Sorgen um die Paarbeziehung, der Haftalltag, der Umgang mit der eigenen Wut, Trauer um das Verlorene, die Auseinandersetzung mit der Tat und auch die Stärkung der eigenen Kräfte. Aktives Zuhören, Aushalten des Schweren, Ermutigen des Gegenübers formuliert Brigitte Keuer als ihre Aufgabe in den Gesprächen. „Und die Zusage Gottes, dass es keinen Menschen gibt, der ihm unwichtig oder der ohne Wert ist.“
Zu den Tiefpunkten ihrer Arbeit gehören verbale und nonverbale Gewalt in der Justizvollzugsanstalt gegenüber Bediensteten und gegenüber anderen Inhaftierten. Sie selbst ist während ihres Dienstes nur einmal bedroht worden. Ebenfalls als Tiefpunkt bezeichnet sie den Tod von Menschen, die sich entschieden haben, ihr Leben selbst zu beenden, im Fachjargon „Selbsttötung“ genannt.
Ein Höhepunkt war „Luther“-Aufführung in JVA
Höhepunkte hat es für Brigitte Keuer aber auch viele gegeben: Fröhliche Kinder im Familiengottesdienst, eine gelungene Vater-Kind-Beziehung, eine verbesserte Paarbeziehung, die ehrliche Auseinandersetzung mit der Tat und Schuld sowie Empathie für das Opfer. Oder auch ein Gottesdienst, der Impulse zum Nachdenken gibt, die bei den Zuhörenden „ankommen“. Besonders in Erinnerung geblieben ist der Seelsorgerin die „Luther“- Aufführung des NN Theater Köln in der JVA, finanziert durch die beiden Kirchenkreise Düsseldorf und Düsseldorf-Mettmann.
Im Ruhestand hat sie mehr Zeit für ihren Freundeskreis und ihre Familie, die sich in Deutschland verteilt haben. Ihre erste Reise geht in den Schwarzwald zu einer ehemaligen Studienkollegin und dann zu Verwandten nach Mecklenburg-Vorpommern. Und im Winter, so nimmt sie sich vor: Zeit zum Lesen der ungelesenen Bücher, die in ihrer Wohnung sind.